Digitale Inklusion - Spiele mit Hindernissen
In einer spannenden Praxiserfahrung hat sich die Masterkohorte des berufsbegleitenden Studiengangs Digital Health der Herausforderung gestellt, digitale Therapiekonzepte unter körperlichen Beeinträchtigungen zu erproben. Unter realistischen Bedingungen, die typische körperliche Einschränkungen simulierten, erkundeten die Studierenden in der ukb brain cloud 1.0 am Unfallkrankenhaus Berlin (ukb), wie geeignet digitale Gesundheitslösungen im Alltag tatsächlich sind. Hier geht's zum Video.
Mit einem Arm in der Schlinge, einer schweren Bleiweste, eingeschränktem Sehvermögen oder auf instabilem Untergrund testeten die Studierenden verschiedene Videospiele. Ziel dieser Übung war es, Barrieren und Schwachstellen in der Nutzung digitaler Technologien zu erkennen und ein Bewusstsein für die besonderen Anforderungen von Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen zu entwickeln.
Im Mittelpunkt stand die Frage: Wie inklusiv und nutzerfreundlich können digitale Spiele mit Hilfe von Extended Reality gestaltet werden? Der Test in der ukb brain cloud 1.0 brachte wichtige Erkenntnisse – es wurde klar, dass viele dieser Anwendungen noch Anpassungen benötigen, um den Bedürfnissen aller gerecht zu werden.
Mit Prof. Dr. med. Ingo Schmehl, Direktor der Klinik für Neurologie am BG Klinikum Unfallkrankenhaus Berlin und Professor für Digital Health im Fachbereich Medizin an der IB Hochschule haben wir über die Hintergründe dieser Aufgabe gesprochen.
Herr Schmehl was ist die Theorie, die zuvor gelehrt wurde und was sehen wir nun in der praktischen Umsetzung?
Zunächst nahmen die Studierenden an eine neurologischen Visite im Bereich Neurologische Frührehabilitation teil. Wir besprachen gemeinsam Funktionsstörungen, wie Sehstörungen, Hörstörungen, Lähmungserscheinungen, Aufmerksamkeitsstörungen, Gedächtnisstörungen nach mittelscheren bis schweren Schädelhirntraumen. Damit sollte erreicht werden, dass alle Professionen live die Probleme der Patient*Innen erkennen und ihre Beeinträchtigungen im Alltag (Aktivitäten des täglichen Lebens) erleben.
Warum machen die Studierenden das und welchen Nutzen hat das?
Nach der klinischen Visite erhielten die Studierenden die Möglichkeit, mit Hilfsmitteln die Funktionsstörungen/Beeinträchtigungen der Patient*Innen nachzuerleben unter Nutzung von Gamification. Sehbeeinträchtigungen mittels Augenklappe, Hörbeeinträchtigungen mittels Ohrstöpsel, Gleichgewichtsstörungen mittels Schaumgummimatte und Lähmungen mittels Armverband aber auch vermehrte körperliche Belastung durch den Einsatz einer Röntgenbleiweste wurden imitiert. Da die Studierenden bereits im Vorfeld ohne die beeinträchtigenden Maßnahmen die digitalen Techniken erlernt hatten, war es ihnen möglich, jetzt den Vergleich mit Beeinträchtigungen der körperlichen Fähigkeiten wahrzunehmen. Durch diese Selbsterfahrung besteht jetzt die Aufgabe an die Studierenden, digitale Techniken (Extended Reality, DIGA, Robotik, etc.) online zu recherchieren und passende Anwendungen im digitalen Sektor zur entsprechenden Funktionsstörung zuzuordnen. Dabei erfolgt die Prüfung nicht nur nach klinischen Aspekten, sondern auch nach Datenschutzaspekten, Finanzierung und Machbarkeit. Zum Schluss muss die Frage beantwortet werden, ob die vorhandenen digitalen Hardware- und Softwarekomponenten passend im deutschen Gesundheitswesen einsetzbar sind oder Defizite zu beschreiben und Lösungsansätze bei der digitalen Therapie zu benennen.
Was versteht man unter digitaler Inklusion und welche Schlüsse ziehen Sie aus dieser Übung?
Digitale Inklusion heißt aus meiner Sicht, Hard- und Softwarekomponenten in der digitalen Therapie so zu gestalten, dass Patient*Innen mit geistigen oder körperlichen Beeinträchtigungen/Funktionsstörungen individuell in der Lage sind, ebenso wie gesunde Menschen, diese im Alltag unproblematisch anzuwenden. Das ist jedoch trotz eines sehr großen Gamer-Marktes im Bereich der digitalen Therapie im Gesundheitswesen noch nicht bzw. unzureichend der Fall.
Fazit
Diese Übung in digitaler Inklusion hat nicht nur das Bewusstsein der Studierenden für die Herausforderungen und Chancen digitaler Therapien geschärft, sondern auch wertvolle Impulse für die Entwicklung künftiger Anwendungen geliefert. Die Erkenntnisse unterstreichen, dass wahre Inklusion nur dann erreicht wird, wenn digitale Gesundheitslösungen flexibel genug gestaltet sind, um den unterschiedlichen Fähigkeiten und Bedürfnissen der Nutzer*innen gerecht zu werden.
Die Herausforderung liegt darin, digitale Technologien so weiterzuentwickeln, dass sie nicht nur für Gesunde geeignet sind, sondern alle Menschen – unabhängig von ihren individuellen Einschränkungen – unterstützt werden. Das Experiment zeigt: Eine integrative Zukunft der digitalen Gesundheit ist möglich, aber es braucht innovative Ideen, Offenheit für Anpassungen und ein tiefes Verständnis der Nutzer*innen. Die Studierenden haben in der ukb brain cloud 1.0 einen wichtigen Beitrag dazu geleistet.