Sozialforschung an der IB Hochschule für Gesundheit und Soziales in Zeiten der Corona-Pandemie:

Vom Projekt „Governing the Narcotic City“ (GONACI) unter erschwerten Corona Pandemie Schwierigkeiten und der aktuellen Forschungsarbeit berichtet Prof. Dr. Thomas Bürk.

Seit Anfang Juni 2019 wird unter dem Dach der IB-Hochschule am Standort Berlin u.a. auch ein Forschungsprojekt durchgeführt, das sich unter dem Projekttitel „Governing the Narcotic City“ (GONACI) mit vielfältigen alltäglichen Konsumformen, Diskursen und Erzählungen von und über als „Drogen“ bezeichnete Substanzen beschäftigt. Das von dem humanities orientierten HERA-Forschungsfond der EU über drei Jahre finanziere Projekt wird von insgesamt sechs Forschergruppen bearbeitet, die jeweils in Amsterdam, in Kopenhagen/Aarhus, in Bordeaux, am Kulturwissenschaftlichen Institut (KWI) Essen/Duisburg, an der Uni Erlangen und eben an der IB-Hochschule Berlin eingebunden sind. Die Kernbereiche der Forschung umfassen unterschiedliche Fallstudien zu gegenwärtigen und historischen Beispielen.

(Mehr dazu gerne auf unserer Website nachlesen: https://www.narcotic.city/)

Dieses sowohl methodologisch/konzeptionell, als auch thematisch sozial- und kulturwissenschaftlich orientierte Forschungsprojekt hat sich von Beginn an sehr stark auch als Diskussionsforum verstanden. Dieses möchte nicht nur die Perspektiven aus verschiedenen Ländern und besonders mit Drogenkulturen assoziierten Städten verbinden, sondern zudem über die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Akteuren, Initiativen, Museen und Professionellen aus den Bereichen Public Health/Soziale Arbeit eben genau jene abgeschotteten Diskussionsbereiche überwinden, die bisher die unterschiedlichen Handlungs- und Politikfelder, nicht nur in der „Drogen“thematik kennzeichnen.

Neben dem Aufbau eines living archives, also eines Ortes zur Sammlung verschiedenster Artefakte, sozialer Objekte, Narrative und andere Repräsentationen, hat seit Beginn des Projektes vor einem Jahr der direkte Austausch auf Veranstaltungen für die interessierte Öffentlichkeit, wie auch auf workshops im Rahmen des Forschungsprojektes für die beteiligten Gruppen einen zentralen Stellenwert.

Diese schöne, anregende und komplexe Forschungspraxis - und unsere weitere Projektplanung - hatte spätestens Ende März im Zuge der Corona-Pandemie und den damit verbundene Reisewarnungen bzw. Einreiseverboten einen ersten schweren Dämpfer bekommen: Ein seit mehreren Monaten vorbereiteter Projektworkshop in Amsterdam musste abgesagt werden und damit eine Reihe spannender Vorträge, Museumsführungen, Talkrunden und Treffen mit lokalen Akteur*innen und Aktivist*innen. Ebenso wurden mehrere Vortragsreisen zu internationalen Kongressen gecancelt. Projektintern versuchen wir seitdem durch regelmäßige online-Meetings die Diskussion und den fachlichen Austausch soweit es geht aufrecht zu erhalten. Die Debatte mit unseren Partnern und interessierten Gruppen versuchen wir durch eine aktuellen GONACI-newsletter anzuregen. Trotzdem, faktisch und praktisch sind fast alle Fallstudien in ihrem jeweils geplanten Forschungsdesign nicht durchführbar. Einen zentralen Stellenwert bei sozialwissenschaftlicher (Feld)Forschung nimmt ja der direkte Kontakt mit Menschen, die begleitende Beobachtung und das sinnliche Erfassen konkreter Situationen undder Aufenthalt an spannenden Orten ein. Dies alles ist derzeit - wenn nicht durch rigorose Ausgangsverbote wie auch Ende Mai immer noch in Frankreich - unmöglich bzw. zumindest stark erschwert worden.

Daraus ergibt sich eine aktuelle Fragenkonstellation:

- Wie können wir trotzdem den Kontakt und Austausch zu unseren Forschungspartner*innen aufrecht erhalten?

- Wie passen wir unsere auf Feldforschung und empirische Kulturwissenschaft gründenden Forschungsverfahren an die – auch bisher nicht in ihrem Ende absehbare - Situation an?

- Wie vermitteln wir den Mittelgebern die Notwendigkeit eines revidierten Projektplanes, nicht nur im Hinblick auf das Zeitmanagement, sondern auch im Bezug auf die versprochenen Ergebnisse/“Produkte“.

Wie für einen Großteil der Bevölkerung, bricht auch für das GONACI-Projekt, neben den projektinternen Herausforderungen, der nun von der Corona-Pandemie geprägte Alltag in die regelmäßige und so schön geplante Forschungsarbeit ein: Alle Forscher*innen des Hera-Projektes arbeiten vor allem als Lehrende/Dozent*innen/Professor*innen und sind nunmehr seit Wochen mit der Praxis des mobilen Arbeitens, der Ausgangsbeschränkungen und strenger lockdowns, des home schoolings, der Sorge um Angehörige, Freund*innen und sich selbst konfrontiert. Die hier vielfach notwendig gewordenen Neuorientierungen im Alltag bedeuten primär auch für uns keine gemütliche Zeit der Kontemplation, des Nachdenkens und der ausführlichen Lektüre, sondern eine massive Zunahme an Tätigkeiten des Pflegens, Sorgens, Organisierens, Bewältigens, kurz: Arbeitens. Unser GONACI-Forschungsprojet leidet in der Pandemie also vor allem am mangelnden zeitlichen und emotionalen Spielraum, der Erschwernis sich auf das Forschungsthema zu konzentrieren und die dafür notwendige Zeit zur Verfügung zu haben. Das ist, bei aller Unterschiedlichkeit der Forschungsschwerpunkte und der Alltagsbedingungen, auch der internationalen Kolleg*innen, der deutlichste Effekt der Krise!

Und so gilt auch hier, wie in allen anderen Lebensbereichen: Eine einfache Rückkehr zur (Forschungs)normalität wird es auch im GONACI-Projekt nicht geben und es ist noch nicht absehbar, in welche Richtung auch diese liminale (Forschungs)reise gehen wird! Oder um sinngemäß mit einem Zitat von Antonio Gramsci zu enden: „Das Alte ist tot, aber das Neue ist noch nicht geboren! Es ist die Zeit der Monster“

 

Grafik "Drugs Survey" Quelle: https://testing.surveycto.com/collect/lockdown042020

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